Samstag, 22. Dezember 2012

Ein Geist geht um in der Schweiz..

..das Gespenst des Clubsterbens. 


Vom Kultur- oder Clubsterben liest man selten. Neben grossproduzierten Anlässen, die von namhaften Sponsoren unterstützt werden, übersieht das Auge der Öffentlichkeit häufig die kleineren Beiträge zum kulturellen Allgemeingut. Und genau diese stecken mehr und mehr in Schwierigkeiten: von Genf bis nach Frauenfeld werden Musikclubs zum Opfer von Gentrifizierung, der rechtlichen Macht des einzelnen Nachbarn oder mangelnder Unterstützung dieses wichtigen meritorischen Guts. 



"Frou Müller" als Symbol für
kulturaversive Nachbarn.
In Bern engagieren sich Kulturschaffende unter dem provokanten Motto "Figg di Frou Müller". Damit soll symbolisch jenen Nachbaren an den Kragen gegangen werden, die aus "Stadtliebe" in die urbanen Zentren ziehen, um diese danach mit Lärmbeschwerden in todruhige Siedlungen zu verwandeln. Das Problem dabei: diese "Meiers", "Bigglers", "Burris" tragen die selben Namen, wie die zuständigen Stadtbeamten. Das Schweizer Recht gibt hierbei dem Interesse einer Einzelperson den Vorrang über Interessen von Kulturschaffenden und -konsumenten und die Arbeit für das allgemeine kulturelle Wohlbefinden kann bereits durch einen störrischen Nachbarn zugrunde gerichtet werden. Als Beispiel sei hier das "Sous Soul" genannt, das innert weniger Monate von einer einzigen Person mit andauernden Beschwerden und massig Telefonaten bei der Polizei von der Landkarte der Schweiz vertrieben wurde.

Das "Grand Conseil de la Nuit" in Genf sammelte bis zum Oktober dieses Jahres Unterschriften für eine Petition, die klar machen soll, dass "wir nicht akzeptieren, dass das Nachtleben als ein Ärgernis hingestellt wird. Wir fordern, dass es als gewinnbringend in das Stadtbild integriert werden soll." Eine Forderung, von deren Erfüllung wir noch viele Schritte entfernt sind.
Der grosse Saal des "OX" in Zofingen darf seit kurzem aus rechtlichen Gründen nicht mehr für Partys und Konzerte verwendet werden. Die Kulturschaffenden üben sich jedoch nicht in Resignation, sondern arbeiten, den neuen Bedingungen angepasst, weiter und stellen diverse "ruhige" Veranstaltungen auf die Beine.

Diese Beispiele stellen keine Einzelfälle dar. Der Dachverband der nicht gewinnorientierten Musikclubs in der Schweiz (PETZI) wurde Zeuge von Dutzenden kulturellen Todesfällen - wobei bei vielen "kleine" Reglemente, eine "Aufwertung" der Altstadt oder gestrichene Unterstützungsleistungen den letzten Stich gaben. Eine Entwicklung, die zum Denken anregt: Wie weit wird die Kultur gefördert und wie weit wird ihr eine Existenz erschwert?

"Die Kulturförderung mag Projekte: möglichst fassbare, mit einem klaren Anfang und Ende, übersichtlich und gut erklärbar, mit detaillierter Abrechnung und mit Schlussbericht." schrieb Andrea Thal in der WOZ 19/12. Treffend beschrieben, doch: welches Kulturlokal kann den städtischen Anforderungen voll und ganz gerecht werden? Viele der kleineren Clubs haben nicht die Möglichkeit, über Jahre hinweg zu planen. Ausserdem besteht eben der Reiz der alternativen Kulturarbeit darin, ständigem Wechsel ausgesetzt zu sein. Die Kunst ändert sich, die Rahmenbedingungen ändern sich und auch die Kulturarbeiter selbst vollziehen alle Jahre wieder einen Generationswechsel - eben um dem schwer umschreibbaren Fluss der Kultur gerecht zu werden. Solange staatliche Institutionen am Ende jedes Jahres zusätzliche Rechnungen stellen, um keinen Budgetkürzungen zu erliegen, solange die staatlichen Apparate auf Fixierbares und Verwertbares ausgerichtet sind, sind sie nicht kompatibel mit der Kultur, die sich wandelt und lebt, die leichtfüssig durch die nächtlichen Strassen der Städte tanzt.

Wer die (Jugend-)Kultur als Immobilienwert-vermindernd betrachtet, hat keinen Zugang zu ihr, denn Verwertbarkeit steht ihr fern. Der Code der Kultur ist der Tanz. So wie Nietzsche nur an einen Gott geglaubt hätte, der zu tanzen verstünde, so muss auch die Kultur betrachtet werden.
Zu Musik kann getanzt werden, zum Wert einer Immobilie nicht. 

"Tanz dich frei" auf dem Bundesplatz. Eine Demonstration
gegen Restriktion und Kommerzialisierung des Nachtlebens. 
Ein anderes politisches Verständnis für Kulturclubs ist vonnöten. In Basel ist man bereits auf gutem Weg. "Basel setzt das Thema Klubszene auf die politische Agenda und bringt damit zum Ausdruck, dass dieser Bereich ein wichtiger Bestandteil des städtischen Kulturlebens ist und nicht bloße Unterhaltung oder kommerzielle Angelegenheit", so Philippe Bischof, Leitung Abteilung Kultur Basel-Stadt, gegenüber musikmarkt.

In den letzten drei Jahren wurden schweizweit vermutlich mehr Clubs geschlossen als eröffnet, liest man aus dem PETZI-Vorstand. Diesem Verlauf muss Einhalt geboten werden. Unter zunehmend schwierigen Bedingungen kämpfen mehr und mehr Kulturlokale um ihr überleben, sei es aus rechtlicher oder aus finanzieller Perspektive. In beiden Fällen kann die Politik und die Öffentlichkeit eingreifen und einer der wichtigsten Grundlagen des gesellschaftlichen Lebens unter die Arme greifen: der Kultur.

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